Schiefer

Mit dem einst scivaro oder schiver bezeichneten leicht spaltbaren Sedimentgestein haben meine Schiefer nicht viel gemeinsam. Bei uns zu Hause hießen die gemeinen unangenehmen bis schmerzhaften Holzspäne so, nachdem sie sich in die Haut eingebohrt hatten. In den Händen meines Vaters, der Zimmermann war, und in denen meiner Mutter, die viele Jahre in einer Möbel- und Klavierfabrik gearbeitet hatte, steckten ständig solche Schiefer. Vorzugsweise fing man sich diese ein, wenn man mit der bloßen Hand über ungehobeltes Holz strich. Seltener drang ein scharfkantiges Stückchen Metall, Glas oder Stein (auch Splitter genannt) in die nackte Haut.

Diese Schiefer sind meist hartnäckig und lassen sich in der Regel nur mit scharfem Werkzeug oder einer Nadel unter Schmerzen entfernen. Selten stößt sie der Körper von allein ab. Ist der Eindringling aber endlich heraus, sind die Beschwerden schlagartig vorüber und schon vergessen.

Mit manchen Gedanken verhält es sich ähnlich: unbedacht aufgelesen beim leichtsinnigen Streifen über Ungehobeltes setzen sie sich fest, beeinträchtigen das Wohlbefinden und müssen schließlich, gelegentlich auch unter Schmerzen, entfernt werden. Wurden diese Störenfriede nicht notiert sind sie bald vergessen. Deshalb versuche ich, solche Gedanken aufzuschreiben, vielleicht sind sie wert, eben nicht vergessen zu werden.

Vor mehr als 50 Jahren veröffentlichte die Regionalseite der Sächsischen Zeitung von mir als Schüler den ersten Leserbrief. Es ging, natürlich,um Autos: den neuen Frontlenker Robur LO. Mit stark schwankender Intensität habe ich mich immer wieder an diverse Redaktionen gewandt, um meine Meinung zu äußern. Zu meiner eigenen Verwunderung wurde die dann auch fast immer gedruckt veröffentlicht. Nachbarn, Kollegen, Freunde und Verwandte missbilligten dann sogar, wenn längere Zeit nichts von mir öffentlich zu lesen war. Das hat sich nun, im Jahre 2021, grundlegend geändert. Ich werde (bis auf weiteres?) meine Meinungen und Erfahrungen für mich behalten. Wahrscheinlich sind meine Äußerungen nicht mehr erwünscht, entsprechen also nicht dem allgemeinen Geschwurbel (Mainstream?), oder sind weder politisch noch gendermäßig korrekt. Auf jeden Fall werden meine Leserbriefe oder -kommentare auf Papier oder „im Netz“ nicht mehr veröffentlicht. Ich will mich aber nicht verbiegen oder anpassen, da schweige ich lieber, zumal ich ohnehin der Meinung bin, mit meinen Worten nicht die Welt verändern, aber zumindest Gleichgesinnten Mut machen und Zuspruch geben zu können.

 

Die meisten der bis zur Wende in der DDR lebenden Werktätigen sahen in einem Aktivisten nur einen Kollegen, der ordentlich arbeitet, sich (politisch) nichts zuschulden kommen lässt und dieser Auszeichnung mit kleinem finanziellen Anreiz nicht entgehen kann. Aktivist der sozialistischen Arbeit war die niedrigste staatliche Auszeichnung der Deutschen Demokratischen Republik, die in Form eines Ordens verliehen wurde. Vorher hieß dieser Orden Aktivist des Siebenjahrplanes, Aktivist des Fünfjahrplanes und Medaille für ausgezeichnete Leistungen. Offiziell wurde der Begriff des Aktivisten definiert als Werktätiger, der über die Normen und Vorgaben hinausgehende oder anderweitig Beispiel gebende Leistungen erbringt. Alexei Grigorjewitsch Stachanow (1905 – 1977) förderte am 31. August 1935 als Hauer in einem Steinkohlenbergwerk im Donezbecken 102 Tonnen Kohle in einer Schicht. Das war das 13fache der damals gültigen Arbeitsnorm. Die Stachanow-Bewegung der Gewerkschaft wurde in der sowjetischen Besatzungszone von Adolf Hennecke (1905 - 1975 ) zum Auslöser der sogenannten Aktivisten-Bewegung. Der Bergmann förderte am 13. Oktober 1948 statt der üblichen 6,3 Kubikmeter (Hauer-Norm) in einem Schacht in Oelsnitz 24,4 Kubikmeter Kohle. Die Abbaustelle hatte er sich am Tag zuvor ausgesucht und gut vorbereiten lassen. Damit erfüllte er die Arbeitsnorm mit 387 Prozent. Für diese Leistung erhielt Hennecke 1,5 kg Fettzulage, drei Schachteln Zigaretten, eine Flasche Branntwein, 50 Mark Geldprämie sowie einen Blumenstrauß des Kollektivs. Später bekam er einen Studienplatz, höchste Orden, hohe Staats- und SED-Funktionen sowie ein Volkskammermandat. In Anbetracht dieser historischen Tatsachen sträuben sich einem die Nackenhaare, wenn in den Medien allenthalben von Aktivisten aller Couleur die Rede ist, von Umwelt-, Klima-, FfF-, Tierschutz-, Gender-, Migrations- und sonstigen Aktivitäten, die mit sozialistischer Arbeitsweise überhaupt gar nichts am Hut haben. Wurden Aktivisten im Sozialismus hofiert, kann ich solche heute nicht als (womöglich noch als uneigennützig handelnde) Helden und Vorbilder, Europa- und Weltretter anerkennen.

 Die Weberin Frida Hockauf (1904 – 1975) aus Zittau ist vor allem durch ihre vielzitierte Losung

„So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“

bekannt. Dabei ist nicht mal sicher, ob sie dies selbst formuliert oder lediglich zitiert hatte. Beides ist nach ihrer Biographie durchaus möglich. Sie wurde 1922 Mitglied der SPD und der Gewerkschaft, 1946 der SED. Von 1951 bis 1955 arbeitete sie als Weberin in Zittau. Nach dem 17. Juni 1953 verkündete und erfüllte sie die Verpflichtung, im IV. Quartal 1953 ihre Planzahlen drastisch zu übererfüllen. Sie verbreitete unter anderem die oben genannte Losung und war daraufhin von 1954 bis 1963 Abgeordnete der Volkskammer. Heute kann ich lang und breit über die ihr zugeschriebenen Worte philosophieren. Zunächst ist festzuhalten, dass es ihr ums Arbeiten geht, nicht ums Verwalten, Forschen, Schwadronieren und Regieren. Nur die heute geschaffen Werte und Voraussetzungen materieller und finanzieller Art werden unser künftiges Leben bestimmen. Da kommt doch gleich die heute viel beschworene Nachhaltigkeit ins Spiel. Diese auch hier in den Schiefern beschriebene Art der Forstwirtschaft gilt für nahezu alle Lebensbereiche; Förster wissen, dass wir ernten, was unsere Vorfahren gesät haben und dass unsere Nachkommen ernten werden, was wir säen. So wohlmeinend und korrekt kann Hockaufs Spruch interpretiert werden, es ist allerdings auch eine üble Deutung möglich. Nicht nur im Nachkriegsdeutschland, in jeglicher Mangelwirtschaft gilt es, Zuversicht und Optimismus zu verbreiten und die Überwindung gegenwärtiger Unzulänglichkeiten als Voraussetzung für künftiges Wohlleben zu preisen. „Strengt euch an, wenn ihr morgen besser leben wollt! Wer faul ist oder unwillig, wird morgen darben!“ Dem steht allerdings die „neue Normalität“ oder „Transformation“ entgegen, da soll man verzichten und ohne Gegenwert zahlen, damit man überhaupt leben „darf“. Mal sehen, wie sich die grünen und globalen Weltverbesserer durchsetzen werden.

Beide haben keinen guten Ruf in Deutschland. Das war vor vielen Jahren ganz anders, da waren wissenschaftliche Erkenntnisse aus Deutschland weltweit anerkannt, was sich nicht zuletzt in etlichen Nobelpreisen niederschlug. Dazu hier ein paar Gedanken als interessierter Aussenstehender.

Da heute gern und oft, gelegentlich auch falsch, Nachhaltigkeit im Munde geführt wird, scheint eine kurze Erklärung zu Bedeutung und Historie überfällig.

Ursprünglich noch "nachhaltend" geheißen taucht dieser Begriff in der Literatur erstmals 1713 auf. Aufgeschrieben hat ihn Hans Carl von Carlowitz, ein Sachse von altem Adel. Er wurde 1645 als Sohn des kursächsischen Oberforstmeisters Georg Carl von Carlowitz in Oberrabenstein bei Chemnitz geboren. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Jena, widmete sich auch Naturwissenschaften und Bergbau. 1677 wurde er zum Vize-Berghauptmann und 1711 zum Oberberghauptmann am kursächsischen Hof ernannt. Damit war er auch für die unentbehrliche Holzversorgung des Bergbaus verantwortlich.

Die an Metaphern reiche Sprache von Politikern und Journalisten ist im Bestreben, möglichst originell zu sein, mit blumigen Sprüchen und Sprichwörtern durchsetzt. Manchmal sind die allerdings, absichtlich oder ungewollt, mehrdeutig oder missverständlich.

Oft wird jemanden attestiert, er „stehe mit dem Rücken zur Wand“. Meist ist dem Sinn des beschriebenen Zusammenhangs zu entnehmen, dass der Verfasser meint, der Protagonist stehe vor der Kapitulation, könne nicht weiter zurück weichen, wäre also am Ende. Vielleicht ist gar eine bevorstehende Exekutierung zu befürchten, siehe auch Goya, Manet und andere. Der Autor scheut sich davor, jemandem ein Fiasko zu bescheinigen und will dies mit klugen Worten verschleiern oder zumindest verharmlosen. Vielleicht will er nur seine Schadenfreude verbergen.

Wenn ein saturierter Altbundesbürger seine allumfassenden Kenntnisse, seine Überlegenheit in allen Dingen herablassend an den Mann (oder die Frau) bringen will, darf der Hinweis auf die einfallslose Wohnungsbauarchitektur der DDR nicht fehlen. Die „Platte“ ist dafür Symbol, seltener wird WBS 70 erwähnt. Im Gegensatz zu den gepflegten Vorurteilen ist die Platte keine Voraussetzung für einfallslose DDR-Architektur. Man sehe sich nur die tristen aus Kalk- oder Backsteinen (hier Ziegel genannt) errichteten Wohnsilos in anderen europäischen Städten an. Andererseits  wurden auch im „Westen“ sowohl einfallslose wie auch optisch ansprechende Plattenbauten errichtet. Die effektive Nutzung der geringen Mittel (Sparzwang) ist in jedem Fall Ursache für die Geschmacklosigkeiten.

Sprache entwickelt sich. Diese Binsenweisheit wird gelassen zur Kenntnis genommen. Gelegentlich stellt sich allerdings Unbehagen ein, wenn sie einem penetrant von zweifelhafter Aussagekraft in die Quere kommt.

In der DDR war es bei Sportveranstaltungen und politischen Demonstrationen üblich, seine kollektive Begeisterung damit auszudrücken, dass gemeinsam lautstark von zehn an rückwärts gezählt und anstelle der Null „Klasse“ gebrüllt wurde. Dabei stand Klasse vorzugsweise für Spitzenklasse, Erste Klasse oder so. Schon damals beschlich einem gelegentlich das Gefühl, dass die so bejubelten Akteure womöglich allenfalls Mittelklasse waren.

Jedem seine Windmühlen, auch wenn sich die vermeintlichen Riesen dann doch als unbezwingbar herausstellen. Ich habe mir von den mächtigen Gegnern und Feinden ringsum eine unschöne sprachliche Fehlleistung ausgesucht: „Plastik“ .

Im Chemieunterricht lernten wir einst, dass Werkstücke oder Handelswaren aus den vier petrolchemisch hergestellten Kunststoffen Polyvinilchlorid (PVC), Polyäthan, Polystyrol und Phenoplaste mittels thermischer und mechanischer Bearbeitung, das meist granulierte Rohmaterial wurde erhitzt und dann gespritzt oder gepresst, seine endgültige unveränderbare, körperliche „plastische“ Form erhielten.

Alles Übel fängt mit „be-“ an. Das erste war wohl das Beamtentum. Wem mag bloß eingefallen sein, die in einem Amte Tätigen Beamte zu nennen? Diese haben dann wohl aus Dankbarkeit oder wegen mangelnder Phantasie immer, wenn für einen noch nie da gewesenen Sachverhalt ein neues Wort zu finden war, einfach ein altes genommen und nur das bekannte be- vorangestellt. Es geht hier nicht um die sehr weit verbreitete Vorsilbe bei Verben. Damit entstehen bekanntermaßen teils gegensätzliche Bedeutungen, die die Sprache bereichern. Man denke nur an (be-)lauschen, (be-)trachten, (be-)tragen und dergleichen. Bedenklich wird es, wenn meist in Beamtenstuben, das brave be- einem Substantiv vorgesetzt und ein neues Verb erfunden wird. Da kommt eigentlich (auch so ein eigentlich überflüssiges Wort, aber dazu an anderer Stelle mehr) nur Unfug heraus.

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